Die Seele frei schreiben –
Das Trauertagebuch
von Eva Terhorst
Was hilft in Momenten der tiefsten Trauer? Wenn man in ein Loch gefallen ist, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt? Eva Terhorst, Trauerbegleiterin aus Berlin, hat nach dem Verlust zweier geliebter Menschen aktiv danach gesucht. Und ist dabei immer wieder auf das Schreiben gestoßen – dem Schreiben als Möglichkeit, “Seelenhygiene” zu betreiben, Blockaden abzubauen und Depressionen entgegen zu wirken.
Eva Terhorst verrät der Aktion Lichtpunkt-Gemeinschaft heute, wie das gelingen kann und welche Rolle das Führen eines Tagebuchs dabei spielt:
Wie können Tagebücher in der Trauer helfen?
Schreiben entlastet die Seele und darauf kommt es in schweren Lebenssituationen an. Darüber hinaus können sie wie eine Chronik benutzt werden oder ganz konkret an eine Person, im Trauerfall an den Verstorbenen, gerichtet sein. Ihm wird berichtet, wie der Tag, das Leben nun ohne ihn verläuft, um ein wenig das Gefühl zu haben, man könne durch diese Art von innerem Dialog noch in Kontakt bleiben und den Verstorbenen am Leben weiter teil haben lassen. Eine sehr gesunde und hilfreiche Möglichkeit, um einen inneren Ort für den Verstorbenen zu finden und zu pflegen.
Tagebücher - doch nicht so eindimensional wie gedacht?
Sprechen wir über Tagebücher, so entsteht schnell das Bild von jungen Mädchen vor unserem inneren Auge, die manchmal sogar täglich ihre innersten Geheimnisse zu Papier bringen und das Geschriebene an den ausgefallensten Plätzen verstecken. Gleichzeitig sehen wir Eltern, meistens die Mütter, denen beim Saubermachen mehr oder weniger zufällig die Wegbegleiter ihrer Töchter in die Hände fallen. Hin und wieder erliegt die Finderin durchaus dem Drang, darin zu lesen. Immer wenn ich in diesem Alter und auch noch als Erwachsene versuchte, ein Tagebuch zu schreiben, konnte ich das Gefühl nicht loswerden, dass meine privatesten Gedanken und Sorgen einmal in die Hände einer anderen Person gelangen konnten. Leider hat mich diese Vorstellung sehr gehemmt, ein Tagebuch zu führen. Das änderte sich in meiner Trauerzeit. Meine Gefühle waren so überwältigend und mein Umfeld hatte das Weite gesucht, dass ich, was die Führung eines Tagebuches betraf, auf zwei Arten darauf reagierte.
Die Seele wird entlastet - die Kreativität angeregt
Zum Einen begann ich, um „Seelenhygiene“ zu betreiben, nach dem Prinzip, das Julia Cameron in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“ empfiehlt, Morgenseiten zu schreiben. Dabei geht es darum, morgens gleich nach dem Aufwachen, ganz ungefiltert 30 Minuten lang möglichst ohne Unterbrechung die Gedanken und Gefühle, die hochkommen, aufzuschreiben. Diese Methode schlägt Julia Cameron vor, um die oft blockierte Kreativität frei zu schreiben. Nach meiner Erfahrung gelingt dies auch in der Trauerzeit.
Das Konzept „Trauertagebuch"
Da ich nach dem Tod meines Lebenspartners Tom unter einer „Reaktiven Depression“ litt, entwickelte ich, um diese andauernde und unangenehme Situation zu bewältigen, ein Konzept für ein Trauertagebuch, das mir den Tag strukturiert, mich aber nicht zu sehr anstrengt. Denn bei großer Trauer und während einer Depression, kann einem schnell sogar das morgendliche Aufstehen und alles was danach kommt, zu schwer erscheinen. An das Schreiben eines Tagebuches ist unter solchen Umständen schon gar nicht zu denken. Also war der Plan, das Prinzip Tagebuch so zu vereinfachen, dass man gleich morgens einfach nur ein paar kurze Fragen über den Verlauf der vergangenen Nacht über ein Ankreuzverfahren beantwortet.
Inspiration für die verschüttete Lebensfreude
Weiter geht es dann mit der Tagesplanung. Um diese zu erleichtern, sind bereits Kästchen mit Vorschlägen und Inspirationen vorgegeben, denn während des inneren Stillstandes können leere weiße Blätter, die der Trauernde füllen soll, eher kontraproduktiv wirken. So fragt das Trauertagebuch: „Was möchte ich heute tun? Für meinen Körper, für meinen Geist, für meine Seele, für meinen Beruf. Die Kästchen für die Antworten sind gerade mal so groß, dass lediglich Schlagworte und kurze Bemerkungen hineinpassen. Zusammen mit den Vorschlägen vorne im Buch gelingt es so eine Ideenvielfalt aufzutun ohne diffus zu werden. Leider ist es während depressiver Phasen oft so, dass der Betroffene sich wenig inspiriert fühlt, irgendetwas zu tun, geschweige denn Ideen hat, was er tun könnte. Die beiden wichtigsten Fragen „Was möchte ich heute für jemanden anderen tun?“ und „Was kann heute jemand anderes für mich tun?“ können ausschlaggebend dafür sein, wie der weitere Tag verläuft. Bei all dem soll der Benutzer des Tagebuches dazu animiert werden, unter Umständen auch ganz ausschweifende und fantasievolle Pläne für den Tag zu entwickeln, auch wenn nichts oder nur ganz wenig davon umgesetzt werden kann.
Was soll das bringen?
Mit diesem Vorgehen möchte ich erreichen, dass die Trauernden sich wenigstens trauen, sich vorzustellen, dass sie einen normalen, kreativen oder intensiven Tag haben könnten. Denn schon an den kleinsten Regungen und Ideen hapert es oft in dieser beschwerlichen Lebensphase. Selbst wenn dann am Abend ein kleines Resümee mit ankreuzen und Kästchen gezogen wird, macht es nichts, wenn keiner dieser Pläne (noch nicht) umgesetzt wurde oder ganz andere Dinge passiert sind oder möglich waren. Natürlich gibt es auch noch Platz für Termine und die Aufzeichnung eigener Gedanken. So dient das Trauertagebuch später ein mal auch als Dokumentation und Erinnerungsstück an vermutlich eine der schwersten Phasen des Lebens, an deren Einzelheiten man sich oft kaum selbst erinnert, da eine der vielen Begleiterscheinungen von Trauer die Vergesslichkeit ist.
Die Führung eines traditionellen Tagebuches
Abends vor dem Schlafen gehen noch mal den Tag an sich vorbei ziehen zu lassen, das Erlebte und Gefühlte aufzuschreiben, hilft dabei, sich zu entlasten. Gerade in der Trauerzeit sind die Betroffenen häufig von Schlaflosigkeit geplagt. Es kann also helfen, leichter in den Schlaf zu kommen, wenn zuvor der Tag und die dazu gehörenden Gefühle und Sorgen zu Papier gebracht werden.
Dem Rhythmus der Depression entgegen kommen
Klassischer Weise ist es in der Trauer und bei einer Depression oft so, dass der Morgen und der Tag schwierig sind. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen liegt ein weiterer Tag ohne diesen Menschen vor einem. Eine große Hürde also gleich morgens „CARPE DIEM“ zu rufen und in den Tag einzutauchen. So kann es helfen, gleich nach dem Aufwachen, die Morgenseiten zu nutzen, um genau über die Sehnsucht, das sich Verlassen fühlen und die Lustlosigkeit zu schreiben. Danach kann es mit der Planung und Strukturierung des Tages im Trauertagebuch weiter gehen, um sich leichter auf den Tag einzulassen und ihn vielleicht auch für sich zu nutzen, um sich Unterstützung zu organisieren. Meistens hellt sich bei einer Depression erst gegen Nachmittag/Abend die Stimmung ein wenig auf. Ein guter Zeitpunkt diesen leichteren Tagesabschnitt zu nutzen, um noch ein paar wichtige Dinge zu erledigen, um später vor dem Schlafen gehen noch mal den Tag schriftlich festzuhalten. Das kann befreien und helfen, leichter in den Schlaf zu kommen.
Diese verschiedene Arten von Tagebüchern oder deren Kombination können durchaus helfen und in der Trauerzeit gute und wichtige Begleiter sein, um später zu Zeugen einer Zeit zu werden, die den Trauernden sehr geprägt und verändert hat.
Eva Terhorst
“Das erste Trauerjahr.
Was kommt, was hilft, worauf Sie setzen können”
ist 2015 im Kreuz-Verlag erschienen.
ISBN 978-3-451-61368-5
Eva Terhorst, 1965 in Baden-Württemberg geboren, lebt und arbeitet heute in Berlin. Nach ihrem Studium der Politologie arbeitete sie als PR-Beraterin in Agenturen und Unternehmen. Nach dem Tod ihres Partners bildete sie sich zur Trauerbegleiterin und Trauerrednerin weiter. 2015 erschien ihr Buch “Das erste Trauerjahr”, das wir hier schon bald genauer vorstellen werden.
Weiterführender Links:
Mehr zu Eva Terhorst, ihrer Arbeit als Trauerbegleiterin und ihren Publikationen, finden Sie auf ihrer Homepage: www.trauerbegleiter.org
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