„trauertattoo - unsere Haut als Gefühlslandschaft“
Auf Kerstins rechtem Oberarm grinst verschmitzt ein buntes Krokodil, darunter ein Gedicht in Schreibschrift mit Schnörkeln. Auf ihrem Unterarm ein kleiner Handabdruck, dazu ein Name. Die junge Frau legt sanft ihre Hand darauf. CHARLIE, steht da, als wäre es gerade hingekritzelt worden. Doch der kleine Charlie hat nicht etwa mit Wasserfarbe den Abdruck bei seiner Mama hinterlassen. Es ist ein Tattoo.
Ein besonderes Tattoo - ein Trauertattoo.
Viele Menschen lassen sich tätowieren und für viele Menschen haben die gewählten Motive eine starke emotionale Bedeutung. Kerstin wollte nie ein Tattoo. Kein Ereignis war so wichtig, so groß, dass sie es auf ihrer Haut verewigen wollte. Dann starb ihr kleiner Sohn im Alter von drei Jahren, unvermittelt, an einem kardiologischen Schock.
„Als mein Sohn starb, wollte ich mein Kind ganz nah bei mir haben.
Ich wollte, dass es auch weiterhin gesehen wird. Er sollte nicht unsichtbar sein. Ich brauchte es für mich selber. Und ich wollte die Distanz verringern.“
(Kerstin Hau, eine der Protagonisten im Buch)
Katrin Hartig leitet seit Jahren eine Selbsthilfegruppe der Verwaisten Eltern und Trauernden Geschwister e.V.. In den vielen Jahren dieser ehrenamtlichen Tätigkeit ist ihr ein Phänomen aufgefallen:
Menschen lassen sich in der Trauer tätowieren. Sogar Menschen, die vorher Tattoos verweigernd oder gar verachtend gegenüber standen.
Ob ein besonderer Schriftzug, ein Symbol, eine Zeichnung. Ob Mann oder Frau. Jung oder Alt. Das Tattoo ist ein Statement für immer, denn Trauer geht nicht vorbei. Sie verändert sich und sucht nach individuellem Ausdruck. Trauer will gesehen werden.
Dieser Beobachtung wollte sie nachspüren und hat sich mit ihrer Projektpartnerin Stefanie Oeft-Geffarth in das spannende Projekt gestürzt.
„Als erstes Symbol habe ich den Handabdruck für mich gefunden. […] Ich war an dem Morgen im Kindergarten dabei, als er sich die Farbe aussuchte und seine Hand auf das Papier drückte. Mit seinen kleinen Kinderhänden ist er in meinen Ärmel reingeschlüpft und hat mich gekniffen, gekratzt und gekitzelt. Er musste immer irgendwie meine Haut berühren. Deshalb war mir auch gleich klar: Der Handabdruck muss hier hin auf meinen Arm, denn hier war er immer mit seinen Händen.“ (Kerstin Hau)
Es begann mit einer Ausschreibung u.a. über social media Kanäle und mit hunderten Zuschriften. So viele Menschen scheinen sich bereits auf diese Weise mit ihrer Trauer zu beschäftigen. Eine erste Bestätigung der Relevanz des Themas. Aus den Zuschriften wurden eine inhaltliche Sortierung, dann eine optische Auswahl getroffen.
Die Autorinnen wollten sich auf drei Ebenen nähern:
Über Gespräche mit den tätowierten Trauernden, über eine Fotodokumentarische - also visuelle Annäherung und über eine kontextuelle, wissenschaftliche Verortung des Phänomens.
In den folgenden 2 Jahren wurden mehrere Fotoshootings & Interviews quer durch Deutschland organisiert und viel Material gesammelt.
In einem ersten Schritt des engagierten Projektes haben die Autorinnen eine mietbare Wanderausstellung und eine kleines Buch publiziert.
Experten wie Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie sowie Prof. Erich Kasten, Neuropsychologe und Lisa Schönberg, Dipl.-Psychologin ordnen die Erfahrungsberichte ein.
Über eine dokumentarisch-fotografische-journalistische Vorgehensweise haben die beiden Autorinnen ein Phänomen verifiziert, sich intrinsisch genähert und eine phänomenologische Betrachtung vorgelegt.
In der Auseinandersetzung mit dem Thema wurde den Autorinnen klar, dass es ein riesiges Thema ist, dass durch dieses Projekt erstmals aufgegriffen und beschrieben wurde. Klar geworden ist aber auch, dass dies nur der Anfang sein kann, zu dem sie mit dieser Arbeit einen Beitrag geleistet haben.
„Die Schmerzen beim Stechen waren ja gar nichts im Vergleich zu den Schmerzen in mir nach dem Tod meines Sohnes. Es hat zeitweise ein wenig abgelenkt vom inneren Schmerz. [… ] Der Tod meines Kindes war für mich, als hätte man mir die Beine abgehackt. Und Beine wachsen nicht mehr nach. Aber ich habe gut gelernt, mit den Prothesen zu laufen. Dagegen ist das Tattoo ein kleiner Kratzer. […] Durch das Tattoo ist Charlie mehr in meinem Leben.“ (Kerstin Hau)
Ein Motiv für das Projekt war es, Menschen über diese Möglichkeit zu informieren. Menschen, die zum Einen einen Weg für den Ausdruck ihrer Trauer suchen. Zum Anderen mehr Verständnis für Tattoos als Ausdrucksform der Trauer zu erzeugen. Denn manch ein Tattoo, dass wir vielleicht noch immer kulturell verächtlich bewerten, hat ein zutiefst menschliches Bedürfnis.
Die Trauernden, die ihre Geschichten hinter den Tattoos und von ihrer Trauer erzählten, bieten durch die Ausstellung und auch das Buch dem Leser an, diese "Lösung" nachzuvollziehen und zu verstehen.
Die Autorinnen
Katrin Hartig ist Fernsehjournalistin und Trauerbegleiterin sowie 2.Vorsitzende Bundesverband Verwaister Eltern und trauernder Geschwister Deutschland e.V.. Sie führte die Interviews und entwickelte die Texte für die Publikationen.
Stefanie Oeft-Geffarth ist Unternehmerin (conVela) und Künstlerin. Oeft-Geffarth fotografierte die Protagonisten in ganz Deutschland und ist für die Gestaltung des Projektes verantwortlich.
Wollen sie das Buch kaufen oder die Wanderausstellung mieten?
Ein spannende, berührende und aufklärerische Publikation.
ISBN 978-3-00-052750-0
92 Seiten, Softcover, Klebebindung, 17 x 24 cm
UVP 14,90€
Die Wanderausstellung besteht aus 22 Displays, die sowohl über ein montierbares Ständersystem frei im Raum gestellt, als auch über bereits montierte, transparente Leisten gehängt werden können.
Mietpreis 199 €
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung!
Holen auch Sie sich Ihren Lichtpunkt und setzen Sie ein Zeichen!
Kommentar schreiben
Badspiegel (Samstag, 24 Dezember 2016)
Ich finde es wirklich klasse, dass Sie sich all diese Mühe machen und die Informationen mit uns teilen. Danke dafür.
Gruß Sina