09. Dezember 2017


Vergessen - Das gibt es bei uns nicht 

von Manfred Kampmann

Wenn Manfred Kampmann im T-Shirt durch die Stadt läuft, provoziert er schon mal einen verstohlenen Blick und verschmitztes Lächeln hinter seinem Rücken. Auf seinem Unterarm prangt in leuchtend bunten Farben ein Filly-Pferdchen. Ein erwachsener Mann, Anfang Vierzig, mit dem Tattoo eines Spielzeugs auf dem Arm?! Wer ihn darauf anspricht, bekommt die Geschichte hinter Manfred Kampmanns Tätowierung zu hören. Spott gibt es dann nicht mehr, eher Anerkennung für diese Motivwahl. Denn das Filly-Pferd ist ein Tribut an seine Tochter Lara, die im Alter von 13 Jahren verstarb. 

"Ich hatte zwei Tage vor Laras Tod, weil sie Fillys gesammelt hat, ihr genau so ein Filly geschenkt. Das hielt sie dann zwei Tage lang in der Hand. Und deshalb sagte ich mir dann auch, OK, und genau das lasse ich mir stechen. [...] Ich erinnere mich noch daran, dass ich damals nach dem Tod ins Krankenhaus gegangen bin, um mich dort bei den Mitarbeitern zu bedanken, dass sie sich so bemüht hatten um unsere Tochter. Und damals im Flur sagte ich zu meiner Frau: Ich lass mir ein Filly-Pferd stechen. Das war das erste Mal, dass meine Frau nach Laras Tod wieder herzlich gelacht hat." 

Tattoos - für viele Menschen, die ein Kind verloren haben, werden sie zum Medium, zu Symbolen der Trauer, der Erinnerung, des Nicht-Vergessen-Wollens, der inneren Gefühlswelten. Sie containern den Schmerz und stellen Nähe zum geliebten Kind her. Für Manche ist der Verlust der Anlass für ein erstes Tattoo. Andere wie Manfred Kampmann, der in der Musikszene groß geworden ist, stehen Tattoos von jeher offen gegenüber. Seiner Lara hat er noch mehr Zeichnungen gewidmet, die unter die Haut gehen.

"Die Sanduhr steht für meinen Wunsch, dass die Zeit zurück läuft. Sie läuft rückwärts. Im Moment steht im Mittelpunkt für mich die Erinnerung. Und ich habe den Wunsch, dass ich die Zeit zurück drehen kann, um noch einmal Dinge zu sagen, die man nicht gesagt hat. Oder noch einmal Zeiten zu erleben, wo man nicht da war. Es gibt viele Dinge, die ich nicht gesagt habe. (...) Außerdem spielt das Alter meiner verstorbenen Tochter eine sehr große Rolle: die Zahl 13. (...) In Form einer Uhr dargestellt, die auch 13 schlägt. Ausgedacht habe ich mir die Motive selber. Zusammen entwickelt dann mit dem Tätowierer. Es sind also alles Unikate."

Für Manfred Kampmann sind Tätowierungen eine spezielle, künstlerische Art von Kommunikation. Sie können Geschichten transportieren. Und so sollen auch seine zukünftigen Tattoos von seinen Erfahrungen erzählen. 

"Die nächste Idee ist bereits auf dem Papier und wartet darauf, gestochen zu werden. Es wird ein sehendes Auge. Ein Totenkopf. Dann wieder diese Uhr mit der 13 und ein schwarzer Rabe, der weg fliegt. Das ganze Tattoo drückt dann meine Geschichte aus: Lara ist verstorben und war dann weg. Das Auge steht dann für das Leben. Der Totenkopf für den Tod. Der schwarze Rabe, der dann weg fliegt, so wie Lara auch nicht mehr da ist."

Und doch ist Lara überall. 

 

"Sie ist immer präsent. Auf meinem Arm, im Herzen, in meinem Kopf. Vergessen – das gibt es bei uns nicht. Auch ihr kleiner Bruder denkt oft an sie. Auch wenn er noch sehr klein war, weiß er, er hatte eine Schwester."

 

Trauertattoos konservieren persönlich erfahrene Geschichten. Sie verbildlichen die tiefen Einschnitte im Leben oder vergangene Lebensphasen. Das Filly-Pferdchen auf Manfred Kampmanns Arm hilft nicht nur ihm, seiner Frau oder seinem kleinen Sohn, sich an alles Erlebte mit Lara zu erinnern. Es trägt die Zeitspanne ihrer gelebten 13 Jahre hinaus in die Welt, bunt und fröhlich, offen sichtbar für jedermann. Und dafür kassiert er gern auch mal einen spöttischen Blick. 

Interview: Katrin Hartig

Text: Anne Scheschonk

Fotos: Stefanie Oeft-Geffarth

 

Auch Manfred Kampanns Ehefrau Tanja trägt Tätowierungen in Erinnerung an ihre Tochter. Fotografien und Interviewauszüge der beiden sind im Buch "trauertattoo - Unsere Haut als Gefühlslandschaft" (2016) veröffentlicht. Die gleichnamige Wanderausstellung ist noch bis zum 22.12.2017 in Suhl zu sehen, danach in Simmern und Halle. Alle Informationen und Termine finden Sie hier: 

 

www.trauertattoo.de

 

Fehlt Ihnen ein Zeichen zur Anteilnahme? Tragen Sie Ihren Lichtpunkt. Setzen Sie Ihr Zeichen!

Kommentare: 0