17. November 2014


zu TEIL 1     TEIL 2     TEIL 3

Doch es gab auch diejenigen mit Herz

von Martina Hosse-Dolega

(Vierter und letzter Teil des Interviews zum Thema "Abschied")

 

Unmittelbar nach der Beerdigung fuhren wir allein nach Hause. In ein Zuhause, das so leer schien. Mit einem wunderschön gestaltetem Kinderzimmer - für unsere Kinder – doch ohne Kinder. Auf dem Weg zum Schlafzimmer fühlte ich physisch die Leere des Kinderzimmers. Es schmerzte so sehr. Mein Atem stockte, wie so oft in dieser Zeit. Meine Brust fühlte sich an, wie durch einen viel zu engen Brustpanzer eingeengt. Mein Kopf war leer, mein Herz schien zu zerspringen. Ich legte mich ins Bett, starrte blicklos... Zeit und Raum verloren ihre Bedeutung.

Mein nahes Umfeld schien besorgt - tägliche Telefonate oder Nachrichten auf dem Anrufbeantworter zeugten davon. Ich wollte zu dieser Zeit weder reden, noch Kontakte, keinen Besuch. Viel mehr spukte mir durch den Kopf, warum ich überhaupt noch lebte? Mich erstaunte das. Wie war das möglich und warum? Nicht, dass ich an Selbsttötung dachte. Das tat ich nicht,   denn ich dachte gar nicht. Alle Gedanken tauchten auf - ungelenkt und ohne Plan - und verschwanden wieder. Immer und immer wieder. Wenn ich die Augen schloss, sah ich immer ganz klar und nah die Augen meines Sohnes vor mir. Es fühlte sich so selbstverständlich an. Es beruhigte mich. Wir waren zusammen. 


Mein nahes Umfeld war achtsam und unterstützte uns. Sie respektierten uns und unser Verhalten.  Die weitere Umwelt reagierte weniger achtsam. Vielfach sicherlich durch Unsicherheit geprägt,  hörte ich alle denkbaren Floskeln: von "Du bist ja noch jung und kannst noch viele Kinder kriegen" über "Sei froh, dass du die Kinder noch nicht zuhause hattest, dann wäre es noch schlimmer!" bis hin zu "Bestimmt ist es besser so. Wer weiß, vielleicht hätten die Kinder mit einer Behinderung leben müssen." oder "Besser jetzt, als später...“ Die mir gesagten Floskeln könnten Bücher füllen. Sie trösteten nicht. Sie verletzten. 


Dann gab es noch die Menschen, die die Straßenseite wechselten, wenn sie mich sahen. Die, die beim Einkaufen abrupt und wortlos eine Kehrtwendung machten, sobald wir uns in einem Gang begegneten. Der Tod von Kindern stellt auch das Umfeld vor eine Herausforderung. 

 

Zu all denen, die aus Unsicherheit bagatellisierten oder den Kontakt vermieden und zu den Personen, die tatsächlich weder über Mitgefühl, Anstand, Sozialverhalten, Achtung und Respekt vor dem Leben verfügen, gab es noch eine ganz besondere Art von Menschen: Menschen mit Herz, Seele und Verstand. Menschen, die der Tod unserer Kinder betroffen machte. Die aussprachen, dass ihnen Worte fehlen. Die achtsam zuhörten, was ihnen erzählt wurde - auch wenn ich es immer und immer wieder erzählte. Die ihr Mitgefühl in vielfältiger Weise zum Ausdruck brachten und in liebevoller Weise Anteil nahmen. Oftmals waren es Menschen, die in ihrem Leben ebenfalls bereits mit Trauer konfrontiert wurden. Diesen Menschen danke ich von Herzen. Ihre Worte - gesprochen und geschrieben - und ihr Handeln haben sich in meine Seele eingeprägt. Ich erinnere mich gerne daran. 

Sehr hilfreich erlebe ich die Menschen, die zuhörten, was ich erzählen wollte. Die Menschen, die meine Kinder Nico, Robin und Joshua bei ihrem Namen nannten und nennen. Die mir dadurch signalisierten, dass ich das Recht habe um meine Kinder zu trauern. Die - auch, wenn für sie der Schmerz nicht erlebbar war - Verständnis für meinen Schmerz hatten, den Schmerz so stehenlassen und aushalten konnten und können. 

 

Wertvoll waren für mich Eltern, die ich in der Selbsthilfegruppe kennenlernte. Erzählen, ohne erklären zu müssen und dennoch verstanden zu werden, ist so wohltuend. Hilfreich war und ist für mich Literatur. 

 

Als besonders schlimm empfand ich es, dass es anscheinend nicht selbstverständlich ist, trauernden Eltern Wege und Möglichkeiten der Trauerverarbeitung aufzuzeigen und ganz konkrete Hilfen anzubieten. Das könnten begleitende Gespräche, Psychotherapie, das Kennenlernen von Entspannungsverfahren und Kuren zur Trauerverarbeitung sein. Ressourcen zu entdecken und zu nutzen und Resilienz zu fördern, ist sicherlich ein sehr guter Weg. Zudem ist es bestimmt ein günstigerer Weg als hinterher und viel zu spät zu versuchen, seelische und körperliche Schäden zu therapieren. Die möglichen Auswirkungen der Trauer - beim Tod eines Kindes - sind so immens, dass es ganz ohne Zweifel sinnvoll ist, einen Blick darauf zu richten. Hier sind sowohl der Gesetzgeber, als auch Krankenkassen, Kommunen und Ärzte gefragt. 

 

Ausdrücklich betonen möchte ich, dass die Situation für Eltern und Familien beim Tod eines Kindes schon schwer genug ist - es Bedarf keiner Steigerung durch Ämter und Behörden! Ich wünsche mir, dass sich die Menschen, die an entsprechenden Stellen arbeiten, sich dessen bewusst werden, sich entsprechend fortbilden, aber insbesondere über entsprechende Menschlichkeit verfügen.


Von Herzen danke ich meiner Familie, meinen Freunden und den ganz besonderen Menschen, die für uns da sind und unsere Kinder Nico, Robin und Joshua geliebt und unvergessen in ihren Herzen tragen. 

Wir danken Martina Hosse-Dolega für diesen Erfahrungsbericht im Rahmen unserer Interviews zum Thema "Abschied" während der Aktion Lichtpunkt 2014. 

Sie arbeitet mittlerweile in einem engagierten Bestattungshaus, das ihr den nötigen Raum für die sinnvolle Begleitung der Trauernden zur Verfügung stellt. Darüber hinaus ist sie als Trauerbegleiterin und Entspannungs- & Gesundheitspädagogin sowie als Präventionsberaterin aktiv. Ihre Webseite ist derzeit im Aufbau. Sie können aber über uns oder per Mail direkt mit Ihr Kontakt aufnehmen.

Fehlt Ihnen ein Zeichen zur Anteilnahme? Tragen Sie Ihren Lichtpunkt. Setzen Sie Ihr Zeichen!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0