30. Dezember 2013


"Unterstützung von Geschwistern in ihrer Trauer"

Einige wichtige Punkte für den Umgang mit trauernden Kindern und Jugendlichen; niedergeschrieben von Christine Fleck-Bohaumilitzky

Im Folgenden wird von den Geschwistern gesprochen, wie sie seit vergangenem Jahr auch ausdrücklich in den Namen des Bundesverbandes VEID aufgenommen worden sind. Vieles trifft in gleicher oder ähnlicher Weise auf Kinder zu, die jemanden aus dem Freundeskreis oder ihre Eltern verloren haben.

1. Ein Kind reagiert auf den Verlust seines Geschwisters und auf das veränderte Verhalten seiner Eltern oder anderer Personen in seiner Umgebung. Die Erwachsenen können den Kindern am Beispiel ihrer eigenen Trauer zeigen, dass es normal ist, zu weinen, traurig, zornig oder wütend zu sein.

 

2. Geschwister hatten eine enge Beziehung zueinander, auch wenn es keine sehr liebevolle Beziehung gewesen sein mag. Trauer kann positive und negative Gefühle in einer extremen Weise hervorrufen.

 

3. Trauernde jeden Alters tun in der Regel einen Schritt zurück in ihrer persönlichen Entwicklung. Sie verlieren zeitweise Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie erworben hatten. Diese Möglichkeiten stehen ihnen nicht mehr im gewohnten Maß zur Verfügung: Für ihre Umgebung erscheinen sie dann oft als schwierig. Sie brauchen mehr Geduld und Zuwendung, Halt und Stütze, als es ihrer sonstigen Lebenssituation angemessen wäre.

 

4. Für Eltern, die ein Kind verloren haben, rückt natürlich dieser Verlust ins Zentrum ihres Erlebens. Gegenüber dem Kind, das nicht mehr da ist, verliert das überlebende Kind häufi g an Bedeutung. Gerade in dieser Situation ist es für überlebende Geschwister besonders wichtig zu erfahren, dass sie von den Eltern genauso geliebt werden.

 

5. Eltern, die ihr Kind verloren haben, verschließen sich oft mit ihrer Trauer und zeigen ihre eigenen Gefühle nicht. Dieses kontrollierte Schweigen ist für die überlebenden Geschwister dann oft eine zusätzliche Quelle der Irritation. Den Geschwistern hilft, dass jemand da ist, der sie in ihren eigenen Gefühlen bestätigt. Das können Eltern sein, die zu ihren eigen Gefühlen stehen, oder andere Personen, die die Gefühle der Kinder – welchen Alters auch immer – ebenso ernst nehmen, wie die Äußerungen dieser Gefühle.

6. Es kommt vor, dass betroffene Geschwister nicht offen trauern, zeitweise gar nicht auf den Verlust eingehen, dann auch wieder phasenweise extrem intensiv im Erleben ihrer Trauer sind. Sie zeigen Trauer oft nicht spontan, oft auch nicht kontinuierlich. Das heißt nicht, dass ihnen der Verlust nichts ausmacht. Es ist wichtig, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wie alle anderen Trauernden auch spüren, dass sie so trauern dürfen, wie es für sie jeweils gerade stimmt.

 

7. Es kommt vor, dass trauernde Geschwister – wie andere Trauernde auch – den Schwerpunkt der Äußerungen ihrer Trauer verschieben, vom Verlust des Geschwisters, auf den die Reaktion eher unauffällig scheint, auf Schicksale von Berühmtheiten, von Roman- oder Filmfi guren. Auch kleinste Verlust- und Schadensereignisse rufen unverhältnismäßig große Emotionen hervor. All diese Reaktionen können typische Trauerreaktionen sein. Es kann dabei leichter sein für einen betroffenen Bruder oder eine Schwester, mit jemandem zu sprechen, der nicht zum betroffenen Familiensystem gehört. Respektieren der jeweils eigenen Form, mit der Trauer umzugehen, hilft . Ein „Bemitleiden“ verstört dagegen nur.

 

8. Von einiger Bedeutung ist, dass die Kinder je nach Alter ein unterschiedliches Verständnis vom Tod haben. Entsprechend müsste mit ihnen umgegangen werden, um Missverständnisse zu vermeiden: Ein Beschönigen, ein Verwenden von Klischees und Unwahrheiten löst hier langfristig ebenso Irritation aus, wie ein Vermischen von religiösen und medizinischen Begriffen und Ursachen. Kinder brauchen ehrliche Antworten, auch wenn diese Antworten nur die Aspekte berücksichtigen müssen, die dem Alter gemäß sind. Hier gilt, was auch für andere Antworten an Kinder z.B. im religiösen Bereich gilt: Eine gegeben Antwort soll später nie zurückgenommen werden müssen, man soll auf ihr aufbauen können.

 

9. In jedem Stadium der persönlichen Entwicklung kann ein Kind, ein Jugendlicher neue Informationen zum Tod seiner Schwester, seines Bruders brauchen können. Es ist wichtig, dass Eltern und andere Bezugspersonen off en bleiben für Fragen und mit dem Geschwister in Kontakt bleiben.

 

10. Wie Trauernde jeden Lebensalters können Kinder in ihrer ersten Reaktion auf den Verlust zunächst das Ereignis verdrängen, es nicht wahrhaben wollen, vielleicht jeden Bezug zum Tod des Geschwisters vermeiden. So seltsam das für Außenstehende erscheinen mag: Verdrängen und Nicht-wahrhaben-Wollen sind normal.

 

11. Trauernde Geschwister können sich zeitweise sehr eng mit dem verstorbenen Bruder, der Schwester in Beziehung setzen, sich mit ihm, mit ihr identifi zieren, Gewohnheiten der unterschiedlichsten Art von ihm / ihr übernehmen. Hier ist Zugestehen angesagt.

12. So wie unter den Partnern, die ein Kind verloren haben, sich völlig unterschiedliche Formen des Verhaltens entwickeln, ihre Trauer zu leben – hier ist ein Grund für das Scheitern vieler Beziehungen von Eltern nach dem Verlust eines Kindes zu suchen – so kann sich auch zwischen den Geschwistern sowie zwischen ihnen und den Eltern ein völlig unterschiedliches Trauerverhalten entwickeln. Normalerweise zeigt jeder dabei die Erwartungshaltung, der / die andere müsse ebenso, in der gleichen Art und Weise trauern wie er, wie sie selbst. Das kann sich auf die Teilnahme an Gruppentreffen, auf die Teilnahme an der Beerdigung oder auch auf die Weise des Friedhofsbesuchs beziehen. Wenn gegenseitiger Respekt für die Form der Trauer des anderen aufgebracht wird und es möglich ist, die eigene Erwartungshaltung zurückzustellen, vielleicht auch Trauerformen der anderen teilweise aufzugreifen, kann ein Miteinander leichter entstehen.

 

13. Dies gilt auch für das Sprechen über die eigene Trauer. So sehr es stützen kann, sind Eltern oft enttäuscht, wenn sich überlebende Kinder zurückziehen. Ein Respektieren des Verhaltens und ein Angebot von Alternativen, sich kreativ auszudrücken, kann u. U. eine Hilfe werden.

 

14. Ein ständiges Verglichenwerden mit seinem verstorbenen Geschwister kann einen jungen Menschen fertig machen. Es ist allerdings ganz normal, sein verlorenes Kind zu idealisieren: Dem überlebenden Bruder, der Schwester macht das das Leben schwer. Idealisieren weckt Schuldgefühle und mindert das Selbstwertgefühl der überlebenden Geschwister noch mehr.

 

15. Für trauernde Eltern ist es ungeheuer schwierig, die Balance in ihrem Verhalten gegenüber ihren verbliebenen Kindern, die weiter in ihrer Entwicklung voranschreiten, zu gewinnen – zwischen einem überängstlichen Zu-viel-Verbieten aus Angst, dieses Kind auch noch zu verlieren, und dem Gegenteil, alles zu gewähren. Es ist sicher verständlich, dass sie das Leben des Kindes als etwas besonders Wertvolles wahrnehmen. Wenn sie im extremen Bemühen, nur ja gut damit umzugehen und nun wirklich alles richtig zu machen, den Bogen überziehen, können sie damit das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen, erreichen.

 

16. Immer wieder ist es in Selbsthilfegruppen von Geschwistern zu erleben: Der Ratschlag, den junge Erwachsene oft hören müssen, manchmal auch von sich selbst: „Du musst jetzt für deine Eltern stark sein“, ist wenig hilfreich. Er verursacht möglicherweise lange Zeit später einen Zusammenbruch. Entlastend wirkt hier ein Verhalten von Eltern und anderen nahen Menschen, das respektiert, dass das Geschwister Hilfe braucht, dass seine eigene Trauer einzigartig und individuell ist, auch in Ausdrucksform und Intensität, und das den Verlust als ganz eigen und schwer erkennt.

 

17. Trauernde, auch trauernde Geschwister, reagieren nicht nur auf den Verlust, sondern ebenso auf das Verhalten der Menschen, mit denen sie danach umgehen. Das kann eine Chance des Miteinanders sein.

Die 17 Punkte beruhen zum Teil auf Gesprächsnotizen, Protokollen und Richtlinien der VE in den USA und Kanada in freien Übersetzungen und auf Ergebnissen dortiger Eltern- und Geschwistergruppenarbeit. Sie entsprechen auch dem, was ich in vielen Jahren der Arbeit mit trauernden Kindern und Jugendlichen beobachten kann.

Wir bedanken uns für die ratgebenden Hinweise, die im Rundbrief des VEID 17/2013 erschienen sind bei:

 

Mag. Theol. Christine Fleck-Bohaumilitzky,

Trauerbegleiterin und Autorin von Fachliteratur,

ist Mitglied des Beirats des Bundesverbandes Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.

 

In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die wichtige Broschüre „Vom Umgang mit Trauer in der Schule. Handreichung für Lehrkräfte und Erzieher“, erschienen bei VEID 2012 und zu beziehen über die Bundesgeschäftsstelle.


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